Der Bundeskanzlerbeschluss, alle drei verbleibenden Atomreaktoren bis zum Frühjahr 2023 am Netz zu lassen, stößt auf breite Zustimmung in der Energiewirtschaft. Die Betreiber der Anlagen rechnen nun mit zügigen gesetzlichen Regelungen. Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, begrüßte die Anordnung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), den Konflikt zwischen Grünen und FDP um die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke zu beenden.
Andreae betonte, dass die Bundesregierung jetzt ihre ganze Kraft darauf konzentrieren müsse, die notwendigen Entscheidungen für eine mittel- und langfristig sichere, bezahlbare und klimafreundliche Energieversorgung zügig zu treffen. Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des VKU, erklärte, dass alle Optionen zum Ausbau der Stromversorgung verfolgt werden sollten. „Der organisierte Streckbetrieb ist eine gute Grundlage für schwierige Szenarien in diesem Winter“, so Liebing.
Auf Nachfrage bezeichnete RWE, der Betreiber des Kernkraftwerks Emsland, das nun bis zum Frühjahr 2023 am Netz bleiben wird, die Weisung von Scholz als eine politische Entscheidung, „die wir in der aktuellen Energiesituation nachvollziehen können“. Der Konzern werde nun alle notwendigen Vorbereitungen für den Betrieb treffen. „Dazu sind auch Anpassungen der rechtlichen Struktur und des Regelwerks notwendig“, heißt es in dem Bericht abschließend.
Auch Preussen Elektra, Betreiber des Kernkraftwerks Isar 2, das bereits zu den nuklearen Ambitionen des Bundeswirtschaftsministeriums gehörte, begrüßte die Entscheidung der Bundeskanzlerin. Der Vorstandsvorsitzende Guido Knott erklärte: „Wir rechnen jetzt mit einer zügigen Umsetzung des Gesetzes und werden unsere Vorbereitungen für einen dauerhaften Betrieb fortsetzen.“ Das Kraftwerk Isar 2 muss in wenigen Tagen für die Reparatur von Druckwasserventilen vom Netz genommen werden, um den Weiterbetrieb bis 2022 zu ermöglichen. Die EnBW teilte mit, dass das Kernkraftwerk Neckarwestheim 2 des Unternehmens bis April mit den aktuellen Brennelementen weiter Strom produzieren kann.
Beschluss des Kabinetts am 19.10.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) schwebte eine Art Backup-Mechanismus für eine Atomreserve vor. Die Kraftwerke sollten bei Brennstoffknappheit, also bei hoher Stromnachfrage und geringen Importen aus anderen EU-Ländern, wieder anlaufen und so lange in Betrieb bleiben, bis der Brennstoff ausgeht. Diese Pläne sind nicht mehr durchführbar. Als Folge der Entscheidung von Scholz wird die Produktion der drei Werke nach dem Jahreswechsel schrittweise zurückgehen. Mit einer Änderung des Atomgesetzes, die der Redaktion vorliegt, wird die Genehmigung zum Betrieb der drei Anlagen mit den vorhandenen Brennstäben bis zum 15. April 2023 verlängert. Die Änderung wird voraussichtlich am 19. Oktober vom Kabinett gebilligt; das Gesetzgebungsverfahren soll bis Ende November abgeschlossen werden. „Die Gesetzgebung ist mit der nuklearen Sicherheit vereinbar, da der Dauerbetrieb auf einen kurzen Zeitraum über den Winter beschränkt wird“, so das Umweltministerium.
Grüne empfehlen Zustimmung
Bei den Grünen gab es teilweise scharfe Kritik am Machtwort der Kanzlerin. Die Co-Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann, kündigte jedoch an, dass sie ihrer Fraktion empfehlen werde, zuzustimmen, „auch wenn wir wissen, dass das AKW Emsland technisch nicht notwendig ist“. Bundeswirtschaftsminister Habeck hatte bereits angedeutet, dass er mit der Entscheidung, alle Kernkraftwerke am Laufen zu halten, leben könne. Auch FDP-Chef Christian Lindner, der eigentlich eine Laufzeit bis 2024 wollte, hatte Zustimmung signalisiert. Die Opposition kritisierte, dass Scholz mit seiner Entscheidung bis nach der Niedersachsen-Wahl gewartet habe. Der Bundeskanzler hätte den Weiterbetrieb der Anlagen bis 2024 anordnen und gleichzeitig den Ausbau der erneuerbaren Energien beschleunigen müssen, sagte Julia Klöckner, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Kritik von Umweltorganisationen
Auf der anderen Seite gab es unterschiedliche Reaktionen von Seiten des Umweltschutzes. Die Deutsche Umwelthilfe sprach von einer gefährlichen Entscheidung und verwies auf die anstehende periodische Sicherheitsüberprüfung der Anlagen, die bei Genehmigung durch die EU-Kommission für den Weiterbetrieb entfallen wird. Der Präsident des Deutschen Naturschutzrings, Kai Niebert, betonte auf Twitter, die Einsatzreserve für Atomkraftwerke sei falsch, aber es sei richtig, dass die Debatte um die Laufzeitverlängerung nun abgeschlossen sei. Im Zusammenhang mit der Entscheidung teilte Bundeskanzler Scholz mit, dass die Bundesregierung einen Rahmen für den Bau von Gaskraftwerken, die Wasserstoff erzeugen können, schaffen will. Timm Kehler, Vorstandsmitglied der Brancheninitiative Zukunft Gas, sieht darin eine positive Entwicklung für die mittel- und langfristige Versorgungssicherheit.