In den letzten Jahren haben chinesische Unternehmen weltweit eine strategische Einkaufsstrategie verfolgt. Auch hierzulande erwerben chinesische Unternehmen aktiv Anteile an deutschen Firmen. Laut einer Analyse von Ernst&Young haben chinesische Unternehmen im Jahr 2017 ungefähr 250 europäische Unternehmen aufgekauft oder sich an ihnen beteiligt, während es im Jahr 2006 lediglich 40 waren.
Die Nachfrage nach deutschen Unternehmen begann erst ab 2011 signifikant anzusteigen. Seitdem hat sich die Anzahl der Unternehmensübernahmen oder Beteiligungen chinesischer Unternehmen in Deutschland von 23 auf 54 erhöht. Die Transaktionsvolumina haben seit 2011 ebenfalls zugenommen, erreichten jedoch 2016 einen drastischen Anstieg und beliefen sich im letzten Jahr auf fast 14 Milliarden US-Dollar. Dabei wird geschätzt, dass bei weniger als der Hälfte der Transaktionen chinesischer Investoren in Deutschland die Summe öffentlich bekanntgegeben wird, da sie unterhalb gesetzlich vorgeschriebener Meldegrenzen liegen. Dadurch bleibt Deutschland das Hauptziel für Investitionen chinesischer Unternehmen auf dem europäischen Kontinent. Lediglich in Großbritannien haben sie im Jahr 2017 mit knapp 18 Milliarden US-Dollar noch mehr investiert.
Chinesische Unternehmen scheinen ein besonderes Interesse an Industrieunternehmen zu haben. Im Bereich der Industrie fanden im Jahr 2017 30 Akquisitionen oder Beteiligungen statt. Mit beträchtlichem Abstand – jeweils nur sechs Transaktionen – folgen Geschäfte in der Gesundheitsbranche und im High-Tech-Sektor (…). Angesichts des gestiegenen Interesses Chinas an Unternehmensbeteiligungen in Deutschland und der erheblichen Präsenz Deutschlands in China hegen viele die Befürchtung, dass Know-how über diese beiden Kanäle ins Reich der Mitte abfließt. Es ist schwierig zu bestimmen, ob diese Besorgnis begründet ist. Dennoch lassen sich folgende Sachverhalte nicht leugnen:
Chinesische Investitionen in Deutschland folgen offensichtlich einer strategischen Agenda. Unsere Aktienstrategen haben in einer Studie zu M&A-Aktivitäten in Deutschland herausgefunden, dass chinesische Investoren bei Übernahmen und Beteiligungen in den vergangenen Jahren eine doppelt so hohe Prämie bezahlt haben wie im Durchschnitt üblich. Dies lässt darauf schließen, dass politisch-strategische Absichten eher bei Investitionsentscheidungen eine Rolle spielen und finanzielle Renditeaspekte erst an zweiter Stelle kommen.
Dies wird auch dadurch unterstützt, dass chinesische Firmen gezielt Investitionen in den europäischen Energiesektor tätigen, insbesondere in kritische Infrastrukturen. Erst im Jahr 2016 hat Beijing Enterprises für etwa 1,5 Milliarden Euro sämtliche Anteile an dem deutschen regionalen Energieerzeuger EEW erworben. Zudem besitzen chinesische Investoren gemäß einer Analyse des Mercator Institute for China Studies (Merics) einen Anteil von 40 Prozent an dem italienischen Unternehmen für Energie-Technologie, Ansaldo Energia. Darüber hinaus halten die Chinesen etwas mehr als ein Drittel der Anteile an dem italienischen Stromnetzbetreiber CDP Reti und dem britischen Projektunternehmen des Atomkraftwerks Hinkley Point.
Auch bei den deutschen und belgischen Netzbetreibern 50Hertz bzw. Eandis hatten chinesische Unternehmen ihr Interesse bekundet und wollten Anteile in Höhe von 20 beziehungsweise 14 Prozent erwerben. Dies wurde jedoch von den zuständigen Behörden beider Länder untersagt. Denn die 50Hertz Transmission GmbH betreibt das Höchstspannungs-Stromnetz im gesamten Osten Deutschlands, in Berlin sowie im Raum Hamburg, dessen Stromkreislänge etwa 10.200 Kilometer beträgt und von dem rund 18 Millionen Haushalte abhängen.
Aber auch deutsche Firmen, die in China aktiv sind, machen sich Sorgen um den Austausch von Know-how. Die chinesische Regierung hat in den vergangenen Jahren diverse Gesetze wie das Spionageabwehrgesetz (2014), das Nationale Sicherheitsgesetz (2015), das Gesetz zur Terrorismusabwehr (2015), das Gesetz bezüglich ausländischer Nichtregierungsorganisationen (2016) sowie das Gesetz über Verfahrensweisen für Anwälte und Anwaltskanzleien (beide 2016) verabschiedet, die dem Staat erhebliche Kontrollrechte und Eingriffsmöglichkeiten verleihen.
In dieser Abfolge tritt das seit Juni 2017 in Kraft getretene Cybersicherheitsgesetz in Erscheinung. Dieses ist primär auf Unternehmen ausgerichtet, die elektronischen Handel in China ausüben, wie Netzbetreiber oder Netzwerkdienstleister. Praktisch gesehen kann jedoch jedes Unternehmen darunterfallen, das elektronische Datenverarbeitung sowohl für seine Geschäftsabläufe als auch für interne Prozesse nutzt. Eine besonders heikle Bestimmung besteht darin, dass sämtliche als sensibel eingestufte personen- und firmenbezogene Daten sowie Daten, die in China gehostet werden, auf chinesischen Servern gespeichert werden müssen. Die vage formulierten Formulierungen des Gesetzes lassen laut Expertenmeinung ein weites Ermessen der Kontrollbehörden vermuten. Somit hätte der chinesische Staat unter dem Vorwand nationaler Sicherheit mühelichen Zugriff auf Geschäftsdaten und sogar auf Firmengeheimnisse.
Das gleichfalls im Juni 2017 verabschiedete Intelligence Law legt Unternehmen zusätzliche Sicherheitsverpflichtungen auf. Zudem erhalten Ermittler das Recht, Sicherheitsbereiche zu betreten sowie Zugang zu Unterlagen des Unternehmens oder von Privatpersonen zu erlangen und diese sogar zu beschlagnahmen. Darüber hinaus erheben Firmen Bedenken über die neue chinesische Zertifizierungspraxis. Die chinesischen Behörden haben nämlich begonnen, als Bedingung für den Zugang zum Markt die Offenlegung von Quellcodes für IT-Produkte oder Bauplänen zu fordern. Insbesondere High-Tech-Unternehmen befürchten, dass der chinesische Staat gezielt Informationen an chinesische Konkurrenten weitergibt.
Im Gegensatz zu China sind in unserem Land die Befugnisse staatlicher Kontrolle begrenzt, um ausländische Investitionen in inländische Unternehmen kritisch zu untersuchen oder sogar zu verhindern. Allerdings erhielt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) in Deutschland durch die Anpassung der deutschen Außenwirtschaftsverordnung im Juli 2017 größere Möglichkeiten, in den Erwerb heimischer Unternehmen durch ausländische Investoren einzugreifen. Das BMWi kann eine Überprüfung erst durchführen, wenn ein Investor von außerhalb der EU mindestens 25 Prozent eines Unternehmens erworben hat. Es könnte sinnvoll sein, diese Schwelle niedriger anzusetzen, beispielsweise durch die Betrachtung von Beteiligungen als Direktinvestitionen, wenn diese mehr als 10 Prozent des Kapitals oder der Stimmrechte ausmachen.
Gleichzeitig ist aufgrund der engen Verflechtung der europäischen Länder eine EU-weite Regelung notwendig. Unter dem Einfluss Deutschlands und weiterer Mitgliedstaaten der Europäischen Union hat die Europäische Kommission im Herbst 2017 einen Entwurf für eine gemeinschaftliche Struktur zur innerstaatlichen Beurteilung externer Investments vorgelegt. Die Mitgliedstaaten sollen sich zumindest beraten, wenn eine geplante Übernahme in einem Land die Sicherheit oder öffentliche Ordnung in anderen EU-Ländern gefährden könnte. Dies betrifft vor allem Investitionen in kritische Infrastrukturen wie Energie oder Kommunikationsnetze sowie sensible Hochtechnologien wie Robotik oder Raumfahrt. In bestimmten Fällen beansprucht die Kommission auch ein Mitspracherecht, etwa bei bedeutenden grenzüberschreitenden Strom- und Gasleitungen. Allerdings sind die Mitglieder nicht verpflichtet, Überprüfungen durchzuführen. Somit blieb dieser Entwurf des sogenannten Investitions-Screenings hinter den deutschen Erwartungen zurück, was insbesondere in Ländern auf Widerstand stößt, die von chinesischen Investitionen profitieren.