Politik und Praxis: Suche nach Lösungen für die wirtschaftlichen Herausforderungen Deutschlands

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Wer meint, die ökonomische Situation eines Staates könne man am besten durch bloße Daten erfassen, erlebt aktuell nahezu tägliche Herausforderungen. Erst am Freitag berichtete das Statistische Bundesamt, dass die Bestellungen der deutschen Industrie im Juni, ähnlich wie im vorherigen Monat, um über sechs Prozent angestiegen sind. Von einem „Donnerschlag“ sprachen einige, und so mancher Wirtschaftsexperte fragte sich, ob all die Rezessionssorgen der letzten Monate „lediglich ein übler Albtraum“ gewesen wären.

Am Montag präsentierte dieselbe Behörde wiederum Daten – und dämpfte die zuvor spürbare Begeisterung erheblich: Zwar verzeichneten deutsche Firmen im Juni unerwartet viele Aufträge. Gleichzeitig reduzierten sie jedoch ihre Fertigung in einem Maße, das selbst die skeptischsten Fachleute nicht antizipiert hatten. Berücksichtigt man den Sektor der Industrie, des Bauwesens und der Energie, fiel die Produktion im Vergleich zum Mai um beachtliche 1,5 Prozent. Dies war bereits der zweite Abfall hintereinander. Alexander Krüger, der Hauptökonom der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank, beschrieb die Situation als „beständige Trägheit“. Sein Kollege von der Commerzbank, Jörg Krämer, prognostizierte für das zweite Halbjahr eine weitere Kontraktion der Ökonomie. Schon in den letzten drei Quartalen zeigte das Bruttoinlandsprodukt eine Stagnation oder gar einen leichten Rückgang.

 

Der DIHK signalisiert, dass keine positiven Veränderungen abzusehen sind

Im Juni produzierte die Industrie allein 1,3 Prozent weniger als im vorherigen Monat. Die Baubranche, die mit hohen Zinssätzen und einer nachlassenden Auftragslage zu kämpfen hat, berichtete von einem Rückgang in der Produktion um 2,8 Prozent. Lediglich die Energieanbieter widersetzten sich dieser Entwicklung und verzeichneten einen leichten Zuwachs von 0,6 Prozent. „Anhaltend hohe Energiekosten, wachsende Zinssätze und ein Mangel an Fachpersonal, kombiniert mit einer schwächelnden globalen Konjunktur, hindern die Industrie am Fortschritt“, so Jupp Zenzen, Fachmann für Konjunktur beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag. Eine positive Wende sei nicht abzusehen.

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Angesichts dieser bedenklichen Zahlen wird auch die politische Diskussion immer intensiver. Die CDU/CSU forderte ein umgehendes Fünf-Punkte-Programm, welches unter anderem eine Reduzierung der Elektrizitätssteuer und der Gebühren für die Stromnetznutzung, sowie ein Moratorium für bürokratische Auflagen für Firmen beinhaltet. Zudem möchten die beiden Oppositionsparteien die Konditionen für steuerliche Absetzungen optimieren und die Grunderwerbssteuer reduzieren. Selbst aus der Ampel-Koalition kommen Stimmen, die ein Investitionsprogramm anregen.

Einige angesehene Wirtschaftsexperten raten jedoch von überstürzten Maßnahmen ab. Sebastian Dullien, Leiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturbeobachtung (IMK) in Düsseldorf, merkte an, dass es zwei Hauptprobleme gebe, auf die sich die Politik konzentrieren solle: die deutliche Unsicherheit der Firmen bezüglich der zukünftigen Energiekostenentwicklung, welche Investitionen blockiert, und die inflationsbedingte Zurückhaltung vieler Konsumenten beim Kauf.

 

Das Dilemma der geringen Kaufkraft könnte sich durch abnehmende Inflation möglicherweise selbst beheben

„Um solche Herausforderungen zu bewältigen, ist es nicht ratsam, ein traditionelles Konjunkturpaket zu schnüren, und es bringt auch nichts, wenn jeder nun mit seinen immer gleichen Favoriten für Steuererleichterungen oder zusätzlichen Ausgaben dahertritt“, äußerte Dullien gegenüber der Süddeutschen Zeitung. „Was tatsächlich benötigt wird, ist erstmal eine klare Vorstellung davon, was Strom und Gas 2030 ungefähr kosten könnten und wie eine stabile Überleitung aussehen sollte, die die Politik den Betrieben bis zu diesem Zeitpunkt bereitstellt. Ergänzend könnte es eine Art Super-Abschreibung geben, bei der Unternehmen die Aufwendungen für Anschaffungen direkt oder in einem sehr kurzen Zeitfenster steuerlich geltend machen können. Dies wäre eine große Unterstützung für die Unternehmen, ohne dass es den Staat langfristig viel belasten würde.“

Die Herausforderung der geringen Kauflust wird sich laut dem IMK-Leiter allmählich von selbst erledigen, sofern die Inflationsrate weiterhin abnimmt und die überdurchschnittlichen Lohnerhöhungen der letzten Zeit in den Geldbörsen der Bürger spürbarer werden. „Jedoch sollte die Regierung vermeiden, Aktionen zu unternehmen, die die Bevölkerung zusätzlich beunruhigen. Die neuesten Einsparungsentscheidungen, wie bei der Elternunterstützung und dem Bafög, mögen jeweils einzeln betrachtet nicht so bedeutsam sein, führen jedoch dazu, dass Besserverdiener und Studenten weniger ausgeben können“, unterstrich Dullien.

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Des Weiteren mahnte der Vorsitzende des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, die Führungskräfte, nicht den Forderungen nach einem Konjunkturprogramm mit zusätzlichen Beihilfen und Steuererleichterungen nachzukommen. „Ein Wirtschaftsförderungsprogramm, das lediglich der mächtigen Industrievertretung weitere Milliarden zukommen lässt, wäre unzweckmäßig, könnte zu unerwünschten Nebeneffekten beitragen und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten unverändert lassen“, äußerte er. Deutschland steht nicht vor einem konjunkturellen, sondern einem strukturellen Dilemma. Entscheidend, so Fratzscher, ist „ein auf Langfristigkeit ausgerichtetes Reformprogramm, gepaart mit einer Investitionsinitiative, weitreichender Entbürokratisierung und der Aufwertung der sozialen Sicherungssysteme“.

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